„prodesse et delectare“

Die Literatur unserer Zeit verbindet eindrucksvoll Nutzen und Vergnügen

Aufklärung braucht Literatur, muss aber dazu ihr Publikum erreichen können. Die Literatur der letzten Jahre verbindet Vergnügen und Nutzen, und wird mit dem Konzept des „prodesse et delectare“ effektiv an ihr Publikum herangetragen. Die Gestalt der literarischen Werke steigert die Intensität der Lektüre, und hilft dem Publikum, sich ihre Aussage zu merken. Man kann die Lehrdichtung als Inbegriff unserer Zeit sehen, denn sie vermittelt Aufklärung und zusätzliches Wissen. Die Ziele der didaktischen Dichtung sind zum einem die Verbreitung von wissenschaftlichen Erkenntnissen, zum anderen sollen christliche Moral und

bürgerliche Tugenden gefestigt werden.

Die Lehrdichtung unterteilt sich in die Untergattungen der Lehrgedichte, Satiren und Fabeln. Enzyklopädien versammeln das Wissen der Menschheit bis zu unserer Zeit und geben dem Leser die Möglichkeit, sich schnell und  umfassend zu bilden. Reiseberichte machen das an seinen Ort gebundene Publikum mit den Erscheinungen der fernen Welt vertraut . Alle diese Formen finden sich in den Kalendern vereint, die jährlich ein wachsendes Publikum erfreuen und für lehrreiche Abwechslung und Erbauung am Ende des Tages sorgen.

Teresa Bücker

Literatur des vorigen Jahrhunderts

Wenn wir uns die Ziele der Literatur in den vergangenen 120 Jahren vergegenwärtigen, dürfen wir nicht nur an die derzeitige Literatur denken, sondern müssen auch etwas weiter in das vergangene Jahrhundert zurückblicken, um zu verstehen, auf welchem Hintergrund und aus welcher Haltung heraus sich unsere moderne Literatur entwickelt hat. Das mit Sicherheit einschneidendste Ereignis in dieser vom Adel weitgehend geprägten Epoche war sicherlich der 30-Jährige Krieg von 1618-1648, in dem sich Fürsten des protestantischen Nordens und Fürsten des katholischen Südens unseres geplagten Vaterlandes gegenseitig bekriegten.

Während des 30-Jährigen Krieges wurden von beiden Seiten Gräuel an der Bevölkerung verübt. Doch dieser Krieg war keine speziell deutsche Erscheinung, vielmehr tobte er in ganz Europa. Die Folgen dieses Krieges waren für das Volk katastrophal, doch den herrschenden Adel schien das wenig zu kümmern. Während die Bevölkerung unter den Konsequenzen litt, die der Krieg nach sich zog, versuchten die Adeligen sich untereinander an prunkvollen Schlössern und Luxus zu überbieten.

Das ungleiche Leben von Volk und Adel war auch Thema vieler Gedichte und Romane. Die Literaten machten es sich zur Aufgabe , auf „die Spannungen von Welt und Gott, Diesseits und Jenseits, Lebenshunger und Todesangst , Vergänglichkeit und Ewigkeit“1 aufmerksam zu machen. Die berühmtesten Dichter der Zeit,die wir auf keinen Fall vergessen wollen, waren Andreas Gryphius, Christian Hoffmann von Hofmannswaldau2, Martin Opitz3 und Friedrich von Logau4.

Andreas Gryphius

 

 

Sie alle versuchten, die deutsche Sprache zu pflegen5, von fremden Einflüssen zu befreien und zu erweitern6. Sie strebten die sprachliche und sittliche Erneuerung an7. Vor allem Gryphius, eigentlich Greiff, gilt als der bedeutendste Dichter von allen. Er behandelte in seinen Gedichten die Vergänglichkeit allen Seins, die  Allgegenwärtigkeit des Todes8, so wie alle Dichter dieser Epoche. Dies lag

Martin Opitz

 

 

 wahrscheinlich daran ,dass er, geboren 1616, die Grausamkeiten des 30-jährigen Krieges als Jugendlicher mitbekam. Seine Gedichte liegen in Form von Oden, Sonetten oder Epigrammen vor. Die Werke handelten zumeist vom Gegensatz  von falschen Schein und echtem Sein9.

Titelblatt der Sinngedichte Salomons von Bosau

 

 

Ob Opitz oder Gryphius, ob  Hofmannswaldau oder Fleming10, sie alle verfolgten dieselben Ziele :"Die Dichtung soll lebhaften Zwecken dienen und zu einem tugendhaften Leben anleiten, ... ethische Normen vermitteln und die Bevölkerung disziplinieren.“11 Der Vorsprung , den die anderen Länder durch ihre bessere Bildung besaßen , sollte durch ihre Werke und die darin enthaltenen Aussagen, aufgeholt werden.

Yüksel Sahin

 

Nachahmung der Natur

Unter dem Begriff der Naturnachahmung verbirgt sich eines der weitreichensten Dogmen, die man in der Literatur unserer Zeit finden kann. Einen besonders großen Anteil an der Herausbildung der Mimesis-Theorie hatte Johann Christoph Gottsched 12 mit seinem Werk „Critische Dichtkunst vor die Deutschen“ ( anno 1730)“. Der Grundsatz der Naturnachahmung wird aus der "vernünftig begründbaren Natur und der logischen Ordnung der Dinge im Universum abgeleitet.“13 Dieser Grundsatz soll in poetischen Werken zu finden und an den Leser oder Zuschauer vermittelbar sein. Unter dichterischer Nachahmung versteht man gemeinhin Gespräche und Dialoge, die dazu führen sollen, dass das Publikum belehrt wird. Für Gottsched ist „die Tragödie die höchste poetische Gattung und die Bühne das geeignete Medium zur moralischen Belehrung des Publikums.“14 Des weiteren sollen  "komplexe, philosophisch-moralische Wahrheiten“15 mithilfe der Fabeln dem breiten Publikum nahe gebracht werden.

Der Nachahmungsbegriff lehnt jedoch „poetische Einbildungskraft“16 ab, weil sie ihm übertrieben erscheint. Mit seinen Gedanken und seiner Dichtkunst hat Gottsched vermocht, ein eigenes literarisches System zu erschaffen. Durch

 „das Ideal des „Poeta doctus“17 (lat. gelehrter Dichter), erhielt die „Dichtung neues Ansehen im deutschsprachigen Raum“18 und wurde plötzlich ein wichtiger Bestandteil der Gelehrsamkeit. Das Publikum kann, gleich welchen Standes,  zu Höherem erzogen werden.

 

Johann Christoph Gottsched

 

Yüksel Sahin

Literatur in unserer Zeit

 

 

Wir befinden uns in der Blüte einer der bisher bedeutsamsten Zeiten: der Zeit der Erleuchtung der Menschen durch den Verstand. Nun wird die Literatur als Verständigungsbasis für alle Menschen angesehen und benutzt. Oberste Prinzipien, die dem Publikum durch die Literatur vermittelt werden sollen, sind der Gebrauch der Vernunft und die Belehrung über ein tugendhaftes Leben; aber auch das Vergnügen an der Literatur gilt in den Augen der Autoren als ein wichtiger Aspekt. Aufklärerische Ideen müssen klar und deutlich an das Publikum herangetragen werden.

Wir leben in dem Zeitalter, in dem wir erkannt haben, daß Gott den Menschen den Verstand gegeben hat, um die Natur und die Lebensbedingungen der Menschen zu verstehen. Hierzu dienen uns wissenschaftliche Methoden als wegweisende Erkenntnisprinzipien vor allem anderen. Jedoch zählt nicht nur allein die theoretische Erkenntnis, sondern in unserem Jahrhundert hat die praktische Verbesserung menschlicher Lebensumstände mindestens die gleiche Bedeutsamkeit. Dazu ist die Verbreitung von Bildung wesentlich19.

Die Literatur hat "den Zweck den Menschen zu bilden, zu erziehen aber auch zu unterhalten..."20; sie will den Menschen zu Selbstreflexion, das heißt zu kritischem Nachdenken über sich selbst, anhalten21. In Leibniz´ Augen sind Literatur und Sprache als "Spiegel des Verstandes" anzusehen: "Die Sprache ist ein rechter Spiegel des Verstandes und daher gewiss zu halten, dass, wo man zu schreiben anfängt, dass allda auch der Verstand gleichsam wohlfeil und zu einer kurrenten Ware geworden."22 

Damit die Botschaft also an das Publikum herangetragen werden kann, sind Einfachheit und Klarheit in der Dichtung von großer Bedeutung. "Im Mittelpunkt der Dichtung gehören Menschen, die ihre Vernunft benutzen um sich als vollkommendes Wesen zu entwickeln."23 Über die vernünftige Dichtung äußert sich Gottsched mit folgenden Worten: "Ihre Aufgabe sei zu ergötzen und zu nützen, das heißt zu belehren, zu gutem Geschmack zu erziehen, tugendhafte Gesinnung zu vermitteln und die Natur zu beschreiben; ihre strenge Regelmäßigkeit dulde weder Phantasie noch überströmendes Gefühl..."24 So zielt die Bildung des Menschen durch die Literatur wesentlich auf eine allgemeine menschliche Bildung, die durch Tugenden gekennzeichnet ist.

Letzteres ist am Beispiel der Weiterentwicklung des Theaters, welches in unserem Jahrhundert eine ganz besondere Rolle übernimmt, deutlich zu machen. Damit das Theater dem Publikum seine Botschaft übermitteln kann, muss sich der Zuschauer mit der gezeigten Handlung auseinandersetzen und die moralisch erstrebenswerten Werte verinnerlichen können. Der Zuschauer soll das Stück also nicht nur betrachten, sondern er muß die Konflikte, die gezeigt werden, auf sich selbst beziehen und Konsequenzen für sich ziehen können. 

Beispielhaft sollte hier unser mittlerweile berühmter Dramatiker Lessing genannt werden, der uns kürzlich eine Reihe von Rezensionen zu Aufführungen des Hamburgischen Nationaltheaters vorlegte.

 

 

Titelblatt des ersten Bandes der gesammelten Lessing´sche Rezensionen zum Hamburgischen Nationaltheater

 

 

Sein Ziel ist es, bei den Zuschauern sowohl Mitlied als auch Furcht zu erregen, wobei er die Furcht - und damit kritisiert er die bisherigen Auffassungen scharf - als das auf sich selbst bezogene Mitleid beschreibt. Er meint, daß ein Theaterstück dann am meisten Wirkung entfalte, wenn der Zuschauer auch noch dann, wenn er das Theater bereits verlassen hat, fürchtet, ihm könne dasselbe Schicksal widerfahren wie dem tragischen Helden oder der tragischen Heldin des Stücks, das er gesehen hat. Um dies zu vermeiden - so Lessing - werde er danach streben, sich tugendhaft zu verhalten und dadurch Gefahren und Schicksalsschlägen vorzubeugen. Daher erklärt sich auch die höchst bedeutsame und fast unerhörte Neuerung, die wir diesem Dichter verdanken: Er stelle uns nämlich erstmals Menschen unseres eigenen Standes und nicht nur adlige und hochgestellte Personen als tragische Helden vor, denn, so sagt er, "Mitleid kann nur derjenige empfinden, der sich in die handelnden Figuren einfühlt und sie als ihm ähnlich erkennt"25 Wie sollten wir auch Mitleid mit den Personen empfinden können, die uns in ihrer ganzen Denkweise und Lebensart und in ihrer Machtfülle so unähnlich sind? Richtigerweise betrachtet Lessing auch die dramatische Form als die wirksamste aller uns bekannten Gattungen, wenn es um die Verbreitung der Tugenden unseres Standes und die Verbreitung einer vernünftigen Moral geht. Denn was wirkt mehr als die direkte Anschauung einer Handlung?

Wir dürfen uns glücklich schätzen, diese neuesten Entwicklungen unseres Theaters so klar vor Augen zu haben, und können nur hoffen, daß wir noch viele dramatische Stücke aus der Feder dieses bekannten Dichters sehen dürfen und daß noch viele jetzt noch unbekannte Talente seinem Beispiel folgen werden.

Jasmin Menke

Anmerkungen der Herausgeber des Nachdrucks:

1 vgl. Helmuth Nürnberger, Geschichte der deutschen Literatur, 24. Aufl. (2. Nachdruck), München 1995, S. 65

2 geb. 1597 in Bunzlau, gest. 1639 an der Pest in Danzig

3 geb. 1604 in Brockuth bei Nimptsch, gest. 1655 in Liegnitz

4 vgl. Helmuth Nürnberger, Geschichte der deutschen Literatur, 24. Aufl. (2. Nachdruck), München 1995, S. 68

5 ebda.

6 ebda.

7 ebda.

8 ebda.

9 vgl. Helmuth Nürnberger, Geschichte der deutschen Literatur, 24. Aufl. (2. Nachdruck), München 1995, S. 71

10 geb. 1609 im sächsischen Vogtland, gest. 1640 in Hamburg

11 Wolfgang Beutin u.a., Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, 5. überarb. Aufl. Suttgart 1994, S. 90

12 geb. am 2.2.1700 in Juditten/Ostpreußen, gest. 12.12.1766 in Leipzig

13 vgl. Baasner/Reichard, Epochen der deutschen Literatur. Aufklärung und Empfindsamkeit, Stuttgart 2000 (CD-Rom)

14 ebda.

15 ebda.

16 ebda.

17 ebda.

18 ebda.

19 vgl. Baasner/Reichard, Begriffsbestimmung: Literatur.- In: Epochen der deutschen Literatur. Aufklärung und Empfindsamkeit, Stuttgart 2000 (CD-Rom)

20 www.all-in-one.purespace.de/aufklaerung.htm

21 vgl. Baasner/Reichard, Begriffsbestimmung: Literatur.- In: Epochen der deutschen Literatur. Aufklärung und Empfindsamkeit, Stuttgart 2000 (CD-Rom)

22 Helmuth Nürnberger, Geschichte der deutschen Literatur, 24. Aufl. (2. Nachdruck), München 1995, S. 84

23 Helmuth Nürnberger, Geschichte der deutschen Literatur, 24. Aufl. (2. Nachdruck), München 1995, S. 85

24 www.all-in-one.purespace.de/aufklaerung.htm

25 www.uni-essen.de/literaturwissenschaft-aktiv/Vorlesungen/dramatik/trauerspiel.htm