Lehrgedichte - Literatur vermittelt Wissen

Das sogenannte dogmatische Gedicht stellt in unserer Zeit das Zentrum der didaktischen Dichtung dar. Da in Vers gefasste Werke höher geschätzt werden als Prosatexte, ist es für viele Autoren Ehrensache, ihren Beitrag zur Lehrdichtung in Form eines Lehrgedichts zu leisten1. Allerdings sind die Anforderungen an ein solches Gedicht hoch. Opitz’ Werk Buch von der Deutschen Poeterey“, das 1624 veröffentlicht wurde, ist eine Poetik, die auch in unserer Zeit noch vielen richtungsweisend erscheint. Opitz formuliert in ihr  Regeln und Grundsätze einer zu seiner Zeit neu zu begründenden hochdeutschen Dichtkunst. Diese solle sich nicht nach den überlieferten antiken Versmaßen richten, sondern eine eigene, der deutschen Sprache angemessene metrische Form finden2.

Die dichterische Freiheit und lyrische Stimmungen treten in den Lehrgedichten in den Hintergrund. Der abstrakte Ton und die akademische Grundhaltung kennzeichnen die Gedichte. Obwohl sie gänzlich auf Erzählungen verzichten, veranschaulichen sie ihren Inhalt und machen die Vermittlung von Wissen angenehmer, als es Sachtexte tun.

Naturbeschreibungen lassen sich den ersten Lehrgedichten zuordnen.

Wegbereiter einer ganzen Tradition von Naturgedichten war Barthold Hinrich Brockes mit seinem Werk „Irdisches Vergnügen in Gott“. All diese Gedichte drücken die Größe des Schöpfer-Gottes aus.

Allerdings werden weniger religiöse Lehrgedichte geschaffen, sondern akademisch-unterrichtend ausgerichtete Werke bilden die bedeutendere Gruppe.

Gottesdienst mit den Sinnen. Kupferstich aus Brockes´ "Irdisches Vergnügen in Gott"

 

 

 

Die dogmatischen Gedichte poetisieren Lehrsätze, während Oden dazu dienen, die heutigen Werte und Normen darzustellen, zu begründen und zu erklären3.

Systematische Wissenschaften, insbesondere die Naturwissenschaften lassen sich ebenfalls darstellen, historische Ereignisse bleiben aber ausgeschlossen.

Teresa Bücker

Anmerkungen der Herausgeber des Nachdrucks:

1 vgl. Baasner/Reichard, Lehrgedicht - dogmatisches Gedicht.- In: Epochen der deutschen Literatur, Stuttgart 2000 (CD-Rom)

2 www.uni-essen.de/literaturwissenschaft-aktiv/Vorlesungen/lyrik/opitz.htm

3 vgl. Baasner/Reichard, Lehrgedicht - dogmatisches Gedicht.- In: Epochen der deutschen Literatur, Stuttgart 2000 (CD-Rom) 

 

 

Abraham Gotthelf Kästner, Philosophisches Gedichte von den Kometen4

Mein Lied beschreibt den Stern, der weit von unsern Kraisen,
Nur selten sich uns naht, uns Kopf und Schweif zu weisen;
Und wenn er sich so tief in unsre Welt verirrt,
Des Weisen Neugier reizt, des Pöbels Schrecken wird.
möchte mir davon ein solches Werk gelingen!
Als, wenn es Opitz wagt, Vesuvens Brand zu singen,
Und durch sein Beyspiel zeigt, auch so ein Vers sey schön,
Der nur Gelehrte reizt, den Kinder nicht verstehn.

Das Volk, dem die Natur das Haupt umsonst erhöhet,
Das stets den trägen Blick zur niedern Erde drehet,
Vergißt sich doch manchmal, und sieht den Himmel an,
Wenn seine Schläfrigkeit was neues reizen kann:
Bald, wenn es dunkle Nacht, am heitern Mittag, schrecket,
Da uns der schwarze Mond das Sonnenlicht verdecket;
Bald, wenn bey Phöbus Glanz, da jeder Stern vergeht,
Mit kühnem Schimmer noch die lichte Venus steht;
Bald, wenn gebrochnes Licht, das durch die Dünste strahlet,
Der Einfalt Sarg und Schwerdt und Todtenköpfe malet.
Doch kann wohl nichts so sehr der Dummheit furchtbar seyn,
Als Sterne, die um sich die blassen Haare streun,
Und wo man sie erblickt, auf schreckensvollen Schweifen,
Krieg, Pest, des Fürsten Tod, und Hunger nach sich schleifen.
O hätte diese Furcht den Pöbel nur gequält,
Wo Fleiß und Unterricht dem blöden Geiste fehlt!
Wie aber, daß darinn ihn Männer selbst bestärkten,
Die auf des Himmels Lauf geschickt und ämsig merkten?
So viel kann Vorurtheil, von Andacht unterstützt!
Der Gottheit Rachschwerdt droht, wenn ein Komete blitzt,
Dieß glaubt man, und genug, daß vor dem Wunderzeichen
Die Kenner der Natur, wie dummes Volk erbleichen.

Doch ist die ietzt hin; kaum sind es funfzig Jahr,
Da noch Chaldäens Wahn der Meßkunst Schandfleck war;
Der Mensch ist nicht der Zweck von Millionen Sternen,
Die er theils kaum erkennt, theils nie wird kennen lernen;
Und daß ein Ländchen nur sein künftig Unglück sieht,
Schickt Gott nicht eine Welt, die dort am Himmel glüht.

Der weise Stagirit, der Wolf vergangner Zeiten,
Der oft, der Meßkunst treu, sich ließ zur Wahrheit leiten,
Doch der auch öfters fehlt, wenn den verwöhnten Geist
Die Metaphysik nur mit leeren Wörtern speist,
Glaubt, daß ein Schwefeldampf, der aus der Erde steiget,
Und Blitz und Donner wirkt, auch die Kometen zeuget.
Voll Eifer kämpft für ihn der Schüler Unverstand,
Fremd in Euklidens Kunst, am Himmel unbekannt.
Doch weit aus unsrer Luft, zu den Planetenkraisen
Führt Tycho den Komet mit siegenden Beweisen.
Nein, er ist etwas mehr, als irdscher Dämpfe Brunst.
Nein, Ordnung, Laufkrais, Zeit hält kein entflammter Dunst.
Vom bunten Nordlicht an, das das Zenith bekränzet,
Bis, wo im tiefen Sumpf ein feuchter Irrwisch glänzet,
Der Drache, der den Brand weit durch die Lüfte schießt,
Sanct Telmo, dessen Schein der Trost des Schiffers ist,
Der helle Balkenstreif, die angeflammten Ballen,
Der schwarzen Wolken Heer, aus dem betäubend Knallen
Auf blendend Licht erschreckt; dieß alles wird bewegt,
So, wie es innrer Trieb und Wind und Schwere regt:
Ganz anders ist der Lauf, den ein Komete zeiget,
Der stets vom Morgen her am Horizonte steiget,
Die Sterne nie verläßt, wo er beym Anfang steht,
Und unterm Horizont zugleich mit ihnen geht,
Und morgen wiederkommt, verrückt zu andern Sternen,
Doch ordentlich verrückt, daß, seine Bahn zu lernen,
Der Himmelskündiger nach wenig Nächten wagt,
Und seinen künftgen Ort, kühn auf die Meßkunst, sagt.
Wodurch wird ein Glut, die durch die Lüte fähret,
So richtig fortgeführt? so lange Zeit genähret?
Wie kömmts, daß ihn zugleich der Erde Hälfte kennt?
Daß Schweden ihn erblickt, wo er in Welschland brennt?
Umsonst, ein falscher Schluß, auf Vorurtheil gegründet,
Hat erst in unsrer Luft Kometen angezündet.
Der Himmel, sagte man, ist unzerstöhrlich, rein,
Und was vergänglich ist, das muß auch irdisch seyn.
Den Irrthum müssen wir der ersten Welt verstatten;
Viel ist uns helles Licht, ihr warens dunkle Schatten;
Ihr Fleiß verdienet Lob, der stets uns nützlich wird,
Lehrt, wenn er Wahrheit fand, und warnet, wenn er irrt.

So geht denn, weitentfernt von unsrer Athmosphäre,
Der leuchtende Komet dort durch des Himmels Leere.
Du, der unendlich mehr, als Menschen sonst gelang,
Ins Innre der Natur mit kühnen Blicken drang,
O Newton! möchte doch, erfüllt von deinen Sätzen,
Mein Lied der Deutschen Geist belehren und ergötzen.
Zwar nicht von Rechnung voll, nicht in Beweisen scharf,
Doch gründlich, wie man es in Versen werden darf.

Daß sechzehn Welten stets in unverrückten Kraisen,
Im weiten Himmelsraum, um ihre Sonne reisen;
Daß ein geworfner Stein, der durch die Lüfte dringt,
Im Bogen aufwärts steigt, im Bogen wieder sinkt;
Macht beydes eine Kraft. Es muß mit gleichen Trieben
Die Sonne, der Planet, der Stein die Erde lieben.
Der Schwung von unsrer Hand ist, was den Stein erhebt,
Vom Schöpfer kam der Trieb, der den Planet belebt,
Stets mit dem Zuge kämpft, der ihn zur Sonne senket;
Durch beyde wird der Stern ins runde Gleis gelenket.
Ein ähnliches Gesetz beherrschet den Komet,
Der nur in längrer Bahn auch um die Sonne geht,
Bald näher zu ihr kömmt, als kein Planet sich waget,
Bald hinflieht, wo es nie von ihrem Lichte taget.
Was jeder Erdball braucht vom Feuer und vom Licht,
Schickt ihm die Sonne zu, und mehr vertrüg er nicht.
Zu heiß wär es für uns dort, wo die Venus gehet,
Zu kalt in jenem Raum, wo Mars sich einsam drehet;
Ob gleich, wie Lybien nebst Grönland Menschen sieht,
Auch Wesen eigner Art, so Mars als Venus zieht.
Was aber würde wohl dort im Komet gebohren?
Ein widriges Gemisch von Lappen und von Mohren,
Ein Volk, das unverletzt, vom Aeußersten der Welt,
Wo Nacht und Kälte wohnt, in heiße Flammen fällt?
Wer ist, der dieses glaubt? Sind da beseelte Wesen:
So ist ihr Wohnplatz nur zu ihrer Quaal erlesen.
Vielleicht hat er vordem, Planeten gleich geziert,
Den ordentlichen Lauf um einen Stern geführt,
Und ietzo muß er erst, aus seiner Bahn gerissen,
Zerstöhrt, in Brand gesetzt, durch unsern Himmel schießen.
Des Sternes wahre Bahn blieb Keplern noch versteckt;
Den Britten hat zuerst ein Newton sie entdeckt;
Noch vor ihm hatte sie ein Deutscher schon gemessen:
Doch Newton wird verehrt, und Dörfel ist vergessen.

Ihr, die ihr stets den Blick nach jenen Höhen werft,
Ihr, den ein Glas das Aug, den Geist die Meßkunst schärft,
Sagt, was Verstand und Sinn sonst mehr an ihm erblicket,
Als einen heißen Ball, der Dämpfe von sich schicket.
Doch scheint uns keine Glut, die dicker Rauch versteckt;
Es ist entlehntes Licht, durch das er sich entdeckt,
Das zeigt sein matter Glanz, der jedem Sterne weichet,
Wenn er an Größe schon den größten Sternen gleichet.
Stark, heiter sehn wir dort die ewgen Sonnen glühn,
Die allerkleinsten selbst, die fast dem Aug entfliehn,
Da er, dem Kraft gebricht, nur mit der Menge streitet,
Und weit um sich herum den lichten Nebel breitet.
Mich dünkt, er zeige mir des Dichters wahres Bild,
Der manches Alphabeth mit leeren Reimen füllt;
Die Zeit, die nach uns kömmt, weiß kaum, daß er gewesen,
Doch Hallern wird man stets mit Hagedornen lesen.

Den hellen Wölkchen gleich, zeigt sich des Hauptes Schein,
Und einen dichtern Glanz schließt er im Mittel ein:
Doch nicht, wie ein Planet, den man stets rund erblicket;
Nein, höckricht, ungleich, rauh, ja öfters gar zerstücket.
Was zeigt uns dieses an, als einen Ball, der glüht,
Und den durch dicken Dampf kein Sternrohr deutlich sieht?
Was wäre sonst der Schweif, als Rauch, der von ihm eilet,
Und sich im weiten Raum von unsrer Welt zertheilet?
Weswegen wächst er sonst, je näher der Komet
Vom frostigen Saturn zur heißen Sonne geht?
Wie, daß er allemal am furchtbarsten sich zeiget,
Wenn sein erhitztes Haupt weg von der Sonne steiget?

Doch, wer er etwa wohl in reiner Himmelsluft,
Was er nicht hier soll seyn, nur ein entflammter Duft?
Vielleicht sehn wir in ihm in einen Haufen fließen
Nur Dünste, welche sich Planeten einst entrissen.
Zu unsrer Väter Zeit ward dieser Satz beschützt;
Und fällt er wohl so leicht, da ihn ein Hevel stützt?
Da ihn ein Kepler glaubt? der, ohne dessen Lehre
Ein Newton selbst vielleicht nicht ganz ein Newton wäre?
Doch könnte wohl ein Dunst so bey der Sonne seyn?
Wie plötzlich wird sie nicht den leichten Dampf zerstreun,
Da, wo die dichte Glut selbst Schwedens Eisen schmelzte,
Wenn unser Erdball sich ihr so nahe wälzte?

Auch zeugt kein Sonnenstrahl, der sich im Haupte bricht,
Wie Apian geglaubt, des Schweifes blasses Licht.
Hat er daran gefehlt, so hat er auch entdecket,
Daß von der Sonne stets der Schweif sich abwärts strecket.
Und der ist wenigstens noch keines Tadels werth,
Der uns, so oft er irrt, auch neue Wahrheit lehrt.
Wie aber, könnte man wohl da ein Licht erblicken,
Wo keine Körper sind, die es zur Erde schicken?
Füllt, ihr, die Newtons Schluß nicht überführen kann,
Den weiten Himmelsraum mit zartem Aether an;
Doch sollt er uns so stark das Licht zurücke senden,
So würd ein steter Glanz die Augen uns verblenden.
Wird doch von uns kein Licht in grober Luft gefühlt,
Als wo im Sonnenstrahl ein Haufen Stäubchen spielt,
Wie sollte dorten wohl ein dünner Aether glänzen?
Ein Wesen dichtrer Art strahlt in Kometenschwänzen.
Auch wird deswegen nicht der Körper bald verstäubt,
Weil er so weit, so stark die Dämpfe von sich treibt;
Ein ausgebreitet Heer von leicht- und zarten Theilen
Kann ohne viel Verlust beständig von ihm eilen.
So wie virginisch Kraut, so viel die Pfeife füllt,
Den ganzen Raufbold oft in dicke Wolken hüllt,
Der doch, wenn er darauf von neuem wieder stopfet,
Den unverrauchten Theil noch aus der Höhlung klopfet.

Welch Schicksal meynt man wohl, ist einer Welt bestimmt,
Wofern sie ihren Weg durch diese Dünste nimmt?
Gewiß, was ärgers noch, als was Sylvan verspüret,
Wenn ihn ein Unglücksfall in Raufbolds Dampfkrais führet.
Die Ordnung der Natur wird ganz und gar gestöhrt,
Mit Dünsten fremder Art die reine Luft beschwert,
Und wenn sie haufenweis auf den Planeten sinken,
Wird, wie in einer Flut, was Athem holt, ertrinken.
Die Kugel selbsten wird aus ihrer Bahn gerückt,
Wenn eingepflanzter Trieb sie zum Kometen drückt;
Und muß vielleicht, wie er, ins Sonnenfeuer fallen,
Vielleicht kalt, unbewohnt in größrer Ferne wallen.

Hier öffnet sich ein Feld, euch Dichtern, deren Geist
So gern ins weite Reich der Möglichkeiten reist,
Besingt die Wunder nur, die vom Kometen stammen,
Die Flut der ersten Welt, des letzten Tages Flammen,
Was Whiston vorgebracht, was Cluver uns gelehrt,
Und was der kühne Fleiß des muntern Heyn vermehrt.
Wie sollt euch nicht davon ein prächtig Lied gelingen,
Wo alles möglich ist, zum Beyfall nichts kann bringen.
So glaubte denn sonst nicht ohne Grund,
Es thu uns ein Komet den Zorn des Höchsten kund;
Und kann er gleich kein Land durch Krieg und Pest verheeren:
So könnte er wohl vielleicht die ganze Welt zerstöhren.
Wahr ist es, daß wir noch dergleichen nicht gesehn;
Allein, wie folgt der Schluß, drum könnt es nie geschehn?
Ich schelte nicht den Fleiß, der für die Wahrheit kämpfet,
Durch Gründe der Vernunft des Glaubens Feinde dämpfet,
Und zeigt, ihr kühner Spott seh als unmöglich an,
Was leicht durch die Natur der Schöpfer wirken kann.
Doch glaub ich dieses auch; der Erden Ziel zu kürzen,
Darf nicht die Vorsicht erst Kometen auf uns stürzen.
Denn wäre der Komet, der uns verderben soll,
Zuvor auch eine Welt, von Sünd und Menschen voll,
Und hätt ihn ein Komet aus dieser Bahn verdrungen:
So frag ich weiter fort, wo dieser her entsprungen?
Und endlich komm ich doch auf einer Erden Brand,
Der von was anders her, als vom Komet, entstand.

Und viele sind gewiß bestimmt zu andern Zwecken,
Die friedlich ihren Schweif in unsern Kraisen strecken.
Das Feuer, das der Ball der Sonne stets verliert,
Wird ihr durch sie vielleicht von neuem zugeführt,
Vielleicht, daß sie den Dampf durch unsern Himmel streuen,
Auf allen Kugeln stets die Säfte zu verneuen.
In feste Körper wird viel Feuchtigkeit verkehrt,
Wofern uns die Natur recht, wie sie wirkt, belehrt.
So sehn wir festen Schlamm in faulem Wasser gehen,
So sehn wir hartes Holz aus Wasser meist entstehen,
Vielleicht daß ein Komet, wenn er zu uns sich senkt,
Mit frischer Feuchtigkeit die trocknen Welten tränkt.
So zweifelt Newton hier, und darf man es ietzt wagen,
Wo Newton zweifelnd spricht, was sichres schon zu sagen?
Denn Himmel und Natur schleußt nach und nach sich auf,
Nur wenig kennen wir von der Kometen Lauf,
Und ihren wahren Zweck, wohin sie sich entfernen,
Wie lang ihr Umlauf währt, das mag die Nachwelt lernen.

Interpretation

 

Abraham Gotthelf Kästner

 

 

"Die „Kometenode“ ist Kästners bekanntestes Lehrgedicht, zugleich eines der berühmtesten naturwissenschaftlichen Gedichte seiner Zeit. Verfaßt ist es aus Anlaß des großen Kometen, der 1744 über Europa sichtbar war. Als philosophisches Gedicht dient es dazu, das Thema umfassend abzuhandeln; inhaltlich ist es auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand seiner Zeit. In seiner anspruchsvollen Ausführlichkeit richtet sich das Gedicht ausschließlich an ein gelehrtes Publikum.“5

„Der Text besteht aus 15 unterschiedlich langen Strophen mit paarweise gereimten Alexandrinern. Die kürzeren Strophen fassen allgemeine Betrachtungen und Lehrsätze zusammen, die längeren bieten Beispiele und Argumente.“6

Der Anfang des Gedichtes hat die Funktion einer Einleitung, in der Kästner kurz erklärt, von welchen Themen der längere Text handelt: Von dem Kometen und den unterschiedlichen Reaktionen der Bevölkerung. So weckte der Komet bei den Weisen Neugier, beim Pöbel Schrecken (V. 4).

Der Autor „kritisierte den alten astrologischen Aberglauben, daß Kometen den Menschen als "Rute Gottes" Unheil voraussagen“7. In der dritten Strophe erklärt Kästner, dass „der Mensch […] nicht der Zweck von Millionen Sternen“ sei, und „Gott nicht eine Welt [schickt]“, um Menschen zu vernichten. Er greift diese Kritik in der vorletzten Strophe erneut auf, und widerspricht dem Glauben, dass „ein Komet den Zorn des Höchsten [kund tue]“, ein „ Land durch Krieg und Pest „verheere“, und „vielleicht die ganze Welt [zerstöre]“,

und fügt an, die Wahrheit  sei, dass so etwas noch nie passiert ist. So kommt er zu der Folgerung, es „könnt […] nie geschehn“. „Er wendet sich gegen die Furcht der Zeitgenossen, ein Komet werde mit der Erde zusammenstoßen und das Weltende einleiten: statt dessen glaubt der Verfasser als optimistischer Aufklärer, daß Gott auch die Kometen dem Planetensystem zum Vorteil geschaffen habe.“8

An mehreren Stellen des Gedichts stellt Kästner den Fortschritt der Naturwissenschaften  seit der Antike bis heute dar, und konzentriert sich dabei vor allem auf Newtons Theorie von der Schwerkraft. Zum Beispiel verweist er auf die Entdeckung der gegenseitigen Anziehung von Massen (Gravitationsgesetz): „Daß ein geworfner Stein, der durch die Lüfte dringt, Im Bogen aufwärts steigt, im Bogen wieder sinkt; Macht beydes eine Kraft. Es muß mit gleichen Trieben/ Die Sonne, der Planet, der Stein die Erde lieben.“

 

Isaac Newton  

 

Das Gedicht vermittelt einiges an naturwissenschaftlichen Kenntnissen. In Strophe sechs beschreibt Kästner, dass sechzehn Planeten („Welten“) in feststehenden Bahnen („in unverrückten Kraisen“) um die „Sonne [k]reisen“. Auch über Temperaturverhältnisse im Weltraum gibt er Informationen : „Zu heiß wär es für uns dort, wo die Venus gehet, Zu kalt in jenem Raum, wo Mars sich einsam drehet“

Zum Ende des Textes macht Kästner darauf aufmerksam, dass über Kometen noch nicht viel bekannt ist, „denn Himmel und Natur schleußt nach und nach sich auf, nur wenig kennen wir, von der Kometen Lauf“. Er appelliert an die „Nachwelt“, sich weiterhin der Forschung zu widmen, und mehr über ihren „wahren Zweck“ zu erfahren.

Teresa Bücker

 

Anmerkungen der Herausgeber des Nachdrucks:

4 zitiert nach: Kästner, Abraham Gotthelf: Vermischte Schriften. Altenburg 1755. S. 69-76.  Das Gedicht ist 1744 entstanden.

5 www.uni-rostock.de/fakult/philfak/imd/Litwiss/fd290_1.htm

6 ebda.

7 ebda.

8 ebda.