Marktorientierung oder l´art pour l´art? Der literarische Markt unserer Zeit

Entscheidend für die geistige Entwicklung unserer Gesellschaft und damit für die Gestaltung unserer Zukunft ist die Herausbildung eines Marktes für Literatur. Dafür ist vor allem der rasche Anstieg der Buchproduktion und auch der zahlenmäßige Anstieg der Schriftsteller verantwortlich.

 

 

Jahrmarkt zu Plundersweilern oder Die Große Buchhändlersmesse

 

 

Denn dieser starke Anstieg macht es erforderlich, dass die Buchproduktion und deren Vertrieb nach neuen, zweckmäßigeren Gesichtspunkten organisiert werden. Noch bis zum Beginn unseres Jahrhunderts existierte ein Tauschhandel, der sich jetzt in ein modernes Verlagswesen gewandelt hat. Bislang waren der Verlag und das Sortiment in der Person des Verlegers zusammengefasst. Doch die Aufgaben sind nun spezialisierter – sie sind aufgeteilt in Vertrieb und Herstellung.

Nunmehr wird eine Druckerei mit der Herstellung von Büchern beauftragt, danach kommen die Bücher zu so genannten Sortimentsbuchhändlern. Erstmals gibt es feste Buchpreise. Dank dieser Entwicklung des literarischen Marktes werden jetzt nicht nur einmal im Jahr Bücher auf Messen verkauft, sondern können das ganze Jahr über beim Buchhändler erworben werden. Wir können Bücher wie jede andere Ware kaufen. 

 

 

Eine der neuen Buchhandlungen in Leipzig

 

 

Dass dies jedoch Folgen für unsere Schriftsteller hat, liegt auf der Hand. Literatur wird nun zur Kaufmannsware und der Schriftsteller zum Lohnarbeiter. 

Auch auf Märkten kann man Bücher kaufen 

 

 

In der Folge müssen die Schriftsteller auf den Publikumsgeschmack Rücksicht nehmen und darauf achten, was sich verkauft. Mancher wird dies beklagen wollen, weil er denkt, bei solchen Überlegungen, die doch für den Lebensunterhalt eines Schriftstellers enorm wichtig sind, käme die Kunst zu kurz und nur noch diejenigen, die bereits in den Augen des Publikums reüssiert haben, könnten sich echte Kunst leisten. Man befürchtet, daß junge Talente es sehr schwer haben werden, Verleger für ihre Werke zu finden, wenn diese nach Meinung der Verleger vor dem Geschmack des Publikums keinen Bestand haben würden. Diesen Skeptikern muß entgegengehalten werden, daß auch bis zu dieser neuen Entwicklung die Schriftsteller keineswegs Kunst um der Kunst oder um der Aussage willen produzieren konnten. Vielmehr waren sie nur zu häufig von den Aufträgen und der Gunst der Fürsten oder adliger Standespersonen abhängig, in deren Auftrag und nach deren Gusto sie schreiben mußten. Wieviel beklagenswerter als der jetzige ist dieser Zustand doch gewesen! Unser heutiges Publikum, vor allem in den Städten, weist doch einen viel besseren Geschmack auf und toleriert auch viele Meinungen, ja verlangt geradezu nach ihnen, um Stoff für Gespräche nicht ausgehen zu lassen. Und bei fortschreitender Verbesserung unserer Lebensumstände werden auch bald die einfachen Leute, deren die meisten ohnehin zur Zeit nicht lesen können, in den Genuß der Unterweisung gelangen und ihren Geschmack ausbilden können.

Viel berechtigtere Diskussionen löst jedoch das Urheberrecht unserer Zeit aus, weil die Eigentumsrechte an den Schriften bei den Verlegern liegen und nicht bei den Schriftstellern selbst. Die Verleger können zur Zeit Neuauflagen drucken, ohne die Autoren en ihrem Gewinn zu beteiligen. Hinzu kommt das Unwesen unautorisierter Nachdrucke, die wegen ihres wohlfeilen Preises mehr Anklang finden als die sorgfältig hergestellten Originalausgaben. Dies ist für die Schriftsteller ebenso nachteilig wie die Zensur, die immer wieder in das öffentliche Leben eingreift. Alles in allem ist jedoch die Entwicklung des literarischen Marktes wegen der leichteren Zugänglichkeit der immer noch sehr teuren Bücher sehr positiv für unsere Gesellschaft und vor allem für unsere Bildung1.

Carolin Hammad

Anmerkungen der Herausgeber des Nachdrucks:

1 vgl. Wolfgang Beutin u.a., Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, 5. überarb. Aufl. Stuttgart 1994, S. 122 ff.